Entscheidung der Woche
16.09.2019
Thema:
Stirbt der Veräußerer kurz nach Abschluss des Kaufvertrages und hat er sich ein Wohnrecht vorbehalten und die Erwerberin zu seiner Pflege verpflichtet, sind Zahlungsverpflichtungen der Erwerberin zu verneinen.
Sachverhalt:
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte folgenden Fall zu entscheiden:
Der Onkel hat seiner Nichte sein Haus verkauft. Er hat sich ein Wohnungsrecht vorbehalten und seine Nichte zu seiner Pflege verpflichtet.
Das Wohnungsrecht und die Pflegeverpflichtung sind mit einem Betrag von 100.000 € bewertet worden und dieser Betrag ist vom Kaufpreis abgezogen worden.
Der Onkel verstarb 2 Monate nach Abschluss des notariellen Kaufvertrages.
Die Erben des Onkels verlangen nun von der Nichte eine Zahlung von 100.000 €.
Das Oberlandesgericht hat eine Zahlungspflicht verneint:
Vereinbaren die Vertragsparteien bei einer Grundstücksübertragung ein Wohnrecht des Veräußerers und eine Pflegepflicht der Erwerberin, gibt der Tod des Veräußerers nur wenige Wochen nach Vertragsschluss für sich genommen weder Anlass für eine ergänzende Vertragsauslegung noch für eine Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Sinne eines Zahlungsanspruchs der Erben des Veräußerers als Ausgleich für das infolge des Todes gegenstandslos gewordene Wohnrecht und die Pflegeverpflichtung.
Entscheidungsanalyse:
Bei Abschluss des Vertrages hätten sich beide Seiten im Ungewissen darüber befunden, wie lange der Verkäufer (der Erblasser) leben und er zu Lebzeiten pflegebedürftig werden würde. Der Senat erläutert, dass der Erblasser das Risiko einging, dass er im Falle seines frühen Todes sein Grundstück an die Antragstellerin überlassen hat, obwohl diese ihn nach dem Kaufvertrag pflegen und nur für einen kurzen Zeitraum das Wohnrecht nach dem Vertrag dulden musste. Nach Überzeugung des OLG gibt es keinen Grund, warum im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung deswegen eingegriffen werden sollte, weil sich hier dieses Risiko des Erblassers zu einem sehr frühen Zeitpunkt verwirklicht hat. Aber auch im umgekehrten Fall - wenn also die Nichte (Erwerberin) ihre sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen (Duldung des Wohnrechts und Pflegeverpflichtung) über einen langen Zeitraum von beispielsweise 20 Jahren hätte erfüllen müssen – hätte nach Ansicht des Senats kein Anlass für eine ergänzende Vertragsauslegung bestanden. Selbst wenn man – zu Unrecht – von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungsunglücke ausgehen wollte, kommt aus Sicht des OLG eine ergänzende Vertragsauslegung auch deshalb nicht in Betracht, da kein Anhaltspunkt dafür besteht, welche Regelung die Parteien getroffen hätten, wenn sie die Frage eines – auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogen – besonders frühen oder späten Todes des Erblassers als einen regelungsbedürftigen Punkt begriffen hätten. Der Senat macht außerdem deutlich, dass auch eine Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB nicht in Betracht kommt. Das OLG Frankfurt am Main hat daher Zahlungsansprüche abgelehnt.
Praxishinweis:
Nach Auffassung des OLG Frankfurt am Main muss bei Vereinbarung eines lebenslangen Wohnungsrechts jeder Vertragsteil grundsätzlich damit rechnen, dass der Berechtigte sein Recht wegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit nicht bis zu seinem Tod ausüben kann. Der Umzug in ein Pflegeheim ist daher in aller Regel kein Grund, den der Bestellung eines lebenslangen Wohnungsrecht zu Grunde, liegenden Vertrag nach § 313 BGB anzupassen (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 09.01.2009 – V ZR 168/07; OLG Köln, Beschluss vom 25.06.2014 – I– 11 U 13/14). Nichts anderes kann nach Ansicht des OLG Frankfurt am Main für den Fall des Todes des Berechtigten gelten (in diesem Sinne auch OLG Koblenz, Beschluss vom 02.11.2016 – 13 UF 273/16).
Beschluss des OLG Frankfurt am Main vom 06.05.2019, Az.: 8 W 13/19